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Tricia


Tricia mit vier ihrer Retter.
 

Als die Welt aufhörte sich in die falsche Richtung zu drehen, begann Tricia die Hitze an ihrem linken Bein zu spüren. Das rechte konnte sie nicht fühlen. Es schien kürzer als das andere zu sein, so als ob jemand ihren Oberschenkel weggenommen und das Bein gefaltet hätte.

Sie versuchte ihren rechten Arm zu heben, es ging nur wenig. Er hing seltsam herab. Der linke Arm war nicht besser. Das Handgelenk hatte die Größe einer Grapefruit. Und dann noch die Schmerzen, die in ihrem Körper wüteten und in einem verzweifelten Röcheln endeten.

Sie bemerkte auch das Blut, die Glassplitter, das Feuer. Sie realisierte, dass sie eingeklemmt war, wie eine Frau schrie: "Mein Gott. Da ist ein Mädchen drin!", wie man begann ihre Schuhe heraus zu schneiden, und wie jemand nach ihrer Telefonnummer fragte.



Fünf Stunden vorher. Es war Valentinstag, der 14. Februar 2004. Es sollte einer der Schlimmsten Tage in Tricias leben werden. Um 7 Uhr an diesem Samstag fuhr sie im Auto nach Berlin Heights im Norden des US-Bundesstaates Ohio. Die 17-jährige Schülerin aus Elyria jobbt dort gelegentlich in einer Schule für Gastronomie.

Sie bereitete an diesem Tag etwa vier Stunden Soßen, Suppen, Desserts und Salate zu. Danach saß sie wieder in dem dunkelgrünen Ford Contour ihrer Eltern, um nach Hause zu fahren. Zum ersten Mal legte sie die Strecke alleine im Auto zurück.



Es war nur eine leichte Kurve. Die Straße war trocken und sauber. Für die meisten Leute ist es ein Richtungswechsel, den man kaum wahrnimmt. Aber für Jose Garcia-Cano war es nicht so - auch weil Alkohol im Spiel war. Niemand wusste, warum Garcia-Cano auf der Route 113 an diesem Vormittag unterwegs war. Genauso konnte niemand sagen, warum er zu so früher Stunde getrunken hatte. Alles, was man weiß ist, dass der Kleinlaster vom Typ Chevy Suburban, den Garcia-Cano fuhr, aus der Kurve getragen wurde. Und bevor es der 26-jährige Fahrer merkte, schleuderte das Fahrzeug gegen einen dunkelgrünen Ford Contour.

Wenn man Leute fragt, was sie tun würden, wenn ihrem Auto ein Laster entgegen kommt, erhält man wahrscheinlich die Antworten: Nach links ausweichen. Nach rechts ausweichen. Irgendetwas tun, um nicht getroffen zu werden. Aber es ist etwas anderes, wenn man tatsächlich in die Situation kommt. Als Tricia realisierte, dass auf ihrer Spur ein Lkw auf sie zu rast, reagierte sie so, wie es wohl die meisten Leute tatsächlich tun: Sie tritt auf die Bremse. Und dann traf sie Laster.

Der Lkw krachte in die rechte Front des Fords, der mit 50 km/h unterwegs war. Der Pkw wird quer über die Straße geschleudert und kommt nach 40 Metern in einem Graben zum Stehen. Der 4-türige Ford sah nun aus wie ein 2-Türer. Das Armaturenbrett auf der Beifahrerseite befand sich im Bereich der Rücksitze. Glassplitter und Blut überall. Etwas brannte. Obwohl der Airbag ausgelöst worden ist und sie den Sicherheitsgurt angelegt hatte, musste Tricia feststellen, dass sie ihr rechtes Bein nicht bewegen konnte und dass beide Arme gebrochen waren. Sie versuchte ihre Schulter gegen die Tür zu stoßen, aber sie hatte keine Chance. Die Tür war durch den Grund des Grabens verkeilt. Danach wurde sie hysterisch und schrie fast nur noch.



Jeff Newman ist spät dran auf dem Weg zum Basketballspiel seines Sohnes, als er zur Unfallstelle kommt. Er sah, dass auf seiner Straßenseite ein Hindernis stand. Als er näher kommt, erkannte er, dass ein Lkw in die falsche Richtung stand. Er war offensichtlich von etwas getroffen worden, aber nichts ist für ihn in der Nähe zu sehen. Ihm war klar, dass er zu Hilfe kommen muss. Er lenkte seinen Wagen an den Straßenrand und lief zum Lkw. Er sah Rauch aus dem Motor aufsteigen, später auch Feuer. Newman hielt einen Lieferwagen an und fragte den Fahrer, ob er einen Feuerlöscher dabei hat. Die beiden liefen zum Unfallwagen, aber sie konnten die Flammen nicht vollständig eindämmen.

Newman sah im Inneren den eingeklemmten Garcia-Cano. Er war blutverschmiert, die Nase fehlte fast. Er schien bewusstlos zu sein. "Wir können momentan nichts für ihn tun", sagte Newman. Darauf hörten sie den Schrei einer Frau. Newman lief zur anderen Seite des Lkw und sah den Ford im Straßengraben. Als er sich dem Fahrzeug näherte, sah er die Frau, die geschrieen hatte: "Da ist ein Mädchen drin!"

Ein anderes Auto mit drei jungen Leuten hielt an. Noch bevor sie ausstiegen, rannte die Frau zu ihnen: "Ihr müsst uns helfen das Mädchen aus dem Auto zu holen!" Sie wollten das Auto anheben, um die Fahrertür zu öffnen.

Einer der Jungs konnte fühlen, wie er neben sich stand, unfähig sich zu bewegen. Er war schockiert. Wahrscheinlich war er nicht der einzige, dem es so erging. Es schien nicht real. Aber dann gab es einen Adrenalinstoß, die Jungs hoben das Auto an, damit Newman die Tür öffnen konnte.

"Zieht mich raus!", schrie Tricia. "Zieht mich raus!" Einer der Jungs versuchte sie zu beruhigen. "Es wird alles gut," sagte er, "der Albtraum ist bald vorbei." Jeff Newman durchtrennte mit seinem Taschenmesser den Sicherheitsgurt. Somit konnte Tricia am Lenkrad vorbei gleiten. Aber dann bemerkten sie, dass ihr rechter Fuß vom Gaspedal eingeklemmt wurde. Die Frau versuchte Tricias Fuß zu befreien.

Jemand hatte 911 angerufen, und in diesem Moment trafen zwei Feuerwehrleute in einem Privatwagen ein. Sie wohnten nahe der Unfallstelle und wurden über den Pieper alarmiert. Newman gab das Messer einem Feuerwehrmann, während der andere versuchte, die Flammen unter der Motorhaube mit einem Handlöscher zu bekämpfen. Der erste Mann arbeitete an Tricias Schuh, als plötzlich ein Knall vom Motor her kam. Alle gingen in Deckung. Tricia schrie. Newmans erster Gedanke war: Flucht. Aber er floh nicht. Keiner floh. "Das Feuer ist aus!", rief der zweite Feuerwehrmann. Kurz danach hatte der andere Tricias Schuh offen und sie konnten das Mädchen aus dem Auto ziehen. "Vertrau uns", sagte Newman zu ihr. Er merkte, dass sie extreme Schmerzen hatte. "Atme tief ein, es wird gleich vorbei sein."

Als Tricia vom Auto weg in Sicherheit war, kümmerte sich Cindy Eppler um sie. "Ich will zu meiner Mutter", stöhnte das Mädchen. "Ich ruf sie an, wenn du willst", sagte die Frau. "Ruf meine Mutter an." Sie fragte Tricia nach ihrem Namen und der Telefonnummer und wählte auf ihrem Handy. Gerry, Tricias Stiefvater, meldete sich. "Ihre Tochter hatte einen Unfall." Gerry wollte wissen, was passiert war und ob sie ok sei. Cindy sagte, dass Tricia etwas durcheinander wäre aber sonst ok sei. "Kann ich mit ihr reden?" Die Frau fragte Tricia, ob sie sprechen will. Sie wollte nicht. Cindy gab das Telefon an den Polizist weiter, der dazu kam. "Wohin wird sie gebracht?", fragte Garry. Es wäre unsinnig für ihn gewesen 50 km nach Berlin Heights zu fahren, während sie schon auf dem Weg in ein Krankenhaus ist. Der Polizist wusste nicht, in welches Krankenhaus man sie bringen wird. "Ich werde sie anrufen, soweit ich Näheres erfahren habe", sagte er. Daher blieb Garry nichts anderes übrig als zu warten.



Es war nach 13.30 Uhr, als Tricias Mutter, Pat, vom Friseur und vom Einkaufen nach Hause kam. Sofort als sie in die Garage fuhr, kam Garry zu ihr. Noch bevor er etwas sagen konnte, merkte Pat, dass etwas nicht in Ordnung war. "Tricia hatte einen Unfall", sagte er und konnte sehen, wie Pat die Tränen in die Augen schossen.

Zu der Zeit wusste Gerry, dass man Tricia in das Allgemeine Krankenhaus nach Akron geflogen hatte. Er erzählte seiner Frau das Wenige, was er erfahren hatte. Dass Tricia mehrere Knochenbrüche habe, aber es nicht lebensbedrohlich sei. Dies erleichterte die einstündige Fahrt von Elyria nach Akron. Für Pat schien die Strecke Tage zu dauern. Gleichgültig wie schnell sie fuhren, es war nicht schnell genug gewesen.

Als Gerry und Pat schließlich zu ihrer Tochter kamen, sahen sie, dass ihr Haar verfilzt war und noch kleine Glassplitter darin hingen, Blut war auf ihrem Gesicht. Der Nacken steckte in einer Halskrause. Ihr ist eine Infusion gelegt worden, auch andere Schläuche hingen an ihr. Eine Menge Eis kühlte sie. Die Ärzte hatten ihren rechten Arm und das Bein etwas gerichtet, so dass sie fast die Länge wie vor dem Unfall hatten.

Während Gerry sich mit Formularen wegen Krankenversicherung und Anderem beschäftigte, saß Pat an Tricias Bett. Ihre Tochter war wach und bei klarem Bewusstsein. Einmal korrigierte sie ihren Vater, als er eine falsche Telefonnummer angab. Aber sie hatte starke Schmerzen. Die Anwesenheit der Mutter und die Medikamente beruhigten sie etwas. Am selben Abend benötigten die Ärzte fünf Stunden für die Operation ihres rechten Arms und des Beins. Zwei Tage später wurde sie nochmals drei Stunden lang am linken Arm und am rechten Knöchel operiert.

Tricia musste sechs Tage im Krankenhaus bleiben, Pat war die meiste Zeit an ihrer Seite. In einem Rollstuhl kam sie nach Hause und verbrachte die nächsten Wochen in einem Krankenhausbett, das im Wohnzimmer aufgebaut war. Nach zwei Tagen zu Hause ließen die Schmerzen langsam nach.

Am Dienstag dem 20.April, es war der zweite Schultag nach den Osterferien und der zweite für sie nach dem Unfall, verließ Tricia früher die Schule, um im Rollstuhl zur Praxis ihres Arztes zu fahren. Sie zeigte auf den Rollstuhl und fragte: "Bin ich das Ding nun endlich los?" "Ja, das war der letzte Tag damit", sagte der Arzt. Neun Wochen und drei Tage nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, konnte Tricia den Rollstuhl gegen Krücken tauschen.

Aber das war erst der Anfang eines guten Tages. Danach war sie bei einer Veranstaltung, bei der sechs ihrer Retter geehrt worden sind. "Ich weiß nicht, was ich ohne sie getan hätte", sagte sie der Presse. "Es waren meine Valentins-Geschenke."

Drei Monate nach dem Unfall hinkt Tricia beim Laufen. Ihr rechtes Bein ist etwa zwei Zentimeter kürzer als das linke. Sie findet auch noch winzige Glassplitter in ihrer Haut. Und die Operationsnarben an ihren Armen erinnern sie noch täglich daran, was am Valentinstag 2004 passiert war.

Aber das alles hindert sie nicht daran, Besuchern die Röntgenfotos vor und nach den OPs zu zeigen, oder ihren Unterarm berühren zu lassen, um die Metallstifte zu spüren, die die Knochen zusammenhalten. Sie zeigt auch das Album, das ihre Familie machte, um ihre Genesung festzuhalten. Das Buch ist voll mit Fotos von Tricia im Krankenhaus. Eins zeigt ihren Stiefbruder, wie er das Glas aus ihren Haaren fischt. Auf einem anderen ist sie zu sehen, wie sie mit einem Strohhalm zu trinken versucht, als sie noch die Halskrause tragen musste. Es gibt auch ein Bild, als sie die ersten Worte nach dem Unfall zu schreiben versucht. Mit Blick auf das Album gab Tricia zu, dass sie sich nicht gern fotografieren ließ, als sie im Krankenhaus lag. "Aber ich bin froh, dass sie es taten", sagte sie. "Ich kann mich kaum noch richtig daran erinnern."

Zum größten Teil hat sich das Leben von Tricia und ihrer Familie wieder normalisiert. Aber mehr als einmal haben sie in dieser schwierigen Zeit Positives erfahren. "So viele Leute haben Tricia geholfen", sagte ihre Mutter. "Es ist gut zu wissen, dass jemand für sie da ist, auch wenn wir es nicht können. Tricia ist sehr glücklich, und wir sind sehr dankbar."