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Es war 3.55 Uhr am Morgen des 8. September 2000, als ihr Körper auf dem Grundstück in Hamburg-Eilbek aufschlug, nur unerheblich gebremst durch ein Gebüsch. Ihr erster Gedanke war: Auf die Füße. Aber ihre Fersenbeine sind durch den Aufprall gebrochen, auch der Oberschenkel, das Becken, der linke Arm. Ihre Erinnerung setzte aus, sie fiel ins Koma.
In der Intensivstation des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg kehrte sie zurück, zusammen mit dem Schmerz. Der Schmerz wühlte im Unterleib, bis er mit Morphium ruhig gestellt wurde. Die Erinnerung wühlte in ihrem Gedächtnis und ließ sich nicht ruhig stellen. Rückwärts lief sie ab wie ein Film, und rückwärts läuft sie seitdem in einer Art Endlosschleife. Der anonyme Anruf, 20 Minuten vor dem Absturz. "Du Schlampe, dir lösch' ich das Licht aus", mit seltsam östlichem Akzent. Die zerstochenen Autoreifen, das Atmen am Telefon. Der verschwundene Hausschlüssel. Die Panik, jemand könnte in ihre Wohnung eindringen. Die Flucht auf das Dach.
Und dann der Abend vor dem Nichts. Wodka Orange und die "Select"-Party im Szenelokal "Wollenberg". Eine stattliche Villa an der Außenalster. Beste Adresse, bestes Publikum, ausgewählt von Partyveranstalter Michael Ammer. Oben der Speisesaal, die berühmte Damentoilette. Unten der Club mit Ammers VIP-Ecke im Kaminzimmer und Dauergast Dieter Bohlen.
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Später lässt Ammer durch seinen Anwalt mitteilen: "Frau Hernandez ist bekannt als eine Dame, die besonderes Augenmerk darauf legt, sich in Gegenwart von Prominenten in der Öffentlichkeit sehen und sich möglichst Verhältnisse mit diesen nachsagen zu lassen. So hat sie unter anderem den Versuch unternommen, mit einem bekannten Schwergewichtsboxer und einem Profi des Hamburger Sportvereins eine Affäre zu beginnen und sich entsprechend in den Medien zu präsentieren versucht. Diese Eigenschaft von Frau Hernandez, die im Volksmund als 'Promigeilheit' bezeichnet wird, ist allgemein bekannt, soweit man Frau Hernandez kennt."
Kein gutes Deutsch, aber anscheinend hat Ammer die Absicht, Bohlen vor dieser angeblichen Geilheit zu beschützen. Bohlen sagt, das Gespräch mit Hernandez sei nett gewesen. Er wisse gar nicht, warum Ammer sich so aufgeregt hätte. Marina Hernandez sagt, Ammer habe sie grundlos beleidigt, in einen Aschenbecher gedrückt und rausgeschmissen. Sie fühlt sich verletzt und gedemütigt. Um 2.52 Uhr hält sie einen Streifenwagen der Hamburger Polizei an und erstattet Anzeige. Es ist eine Anzeige gegen Michael Ammer. Aber gemeint ist das Leben, das Marina Hernandez wie einen Schmetterling im Windkanal nach oben gerissen und dann ausgespuckt hat. Jetzt taumelt sie zurück zur Erde. Seit Monaten schon.
Am 24. März 1973 kommt Marina Hernandez zur Welt. Die Mutter ist Deutsche und will ihr Kind in Deutschland gebären. Der Vater ist amerikanischer Militärarzt und wählt ein Armee-Hospital in Würzburg als Entbindungsklinik. Marina erhält amerikanische Papiere. Sie wächst in San Francisco, Wiesbaden und in ihrer Geburtsstadt auf, mit neun Brüdern. Ihr Abitur macht sie in München, nachdem sie die Schule für ein paar Model-Jobs in Südafrika unterbrochen hatte. Marina weiß, dass sie schön ist. Sie weiß, dass sie klug ist. Und sie weiß, wie man beide Eigenschaften einsetzt.
Männer bedrängen sie. Unbedeutende, bedeutende, junge, alte, reiche, arme. Sie spielt mit ihnen, sitzt mit David Coulthard im Jacuzzi, mit Jacques Villeneuve an der Bar. Sie schickt eine SMS: "Meine Leidenschaften: schnelle Autos (Formel-1-Fan), Schießen, Fliegen."
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Sie lernt die Könige der Halb- und Unterwelt kennen und ihre Lakaien. Weil sie sprachbegabt ist, spricht sie gelegentlich mit albanischem Akzent. Einem bekannten Tennisspieler bietet sie an, für 1.000 Dollar ihre neuen Versace-Stiefel zu lecken. Er zückt den Geldbeutel. Aber Marina winkt ab: War nur Spaß. Marina ist nicht geldgeil, zumindest nicht besonders. Sie ist nicht einmal promigeil. Sie ist lebensgeil. Sie will was erleben. Schnelle Autos! Schießen! Fliegen! Sie lebt auf der Überholspur und benötigt noch nicht einmal Drogen, um das Tempo zu halten.
Sie provoziert, andere und sich. Auf einer Party sagt sie zu einer sehr blonden TV-Moderatorin: "Mit dir würde ich mich auch gern mal verlustieren", obwohl blond gar nicht ihr Typ ist. Die Dame ist schockiert. Marina ist zufrieden. Später entschuldigt sie sich.
Wenn Bernd im Trainingslager ist, ruft Wladimir an. Wladimir Klitschko, Boxweltmeister. Er schickt Blumen, so viele, dass deren Stiele nicht in den Sektkühler passen. Marina zieht bei Bernd aus und bei Wladimir ein. Jetzt spricht sie mit russischem Akzent. Klitschko sagt nicht "Schatzi" zu ihr, sondern "Staruschka", Ömchen, weil sie ein paar Jahre älter ist. Sie nennt ihn "Kleiner", obwohl es keinerlei anatomische Gründe für dieses Kosewort gibt. Dann verlegt sie einen Teppich in seiner Wohnung: Sonnengelb und Himmelblau, vor dem Schlafzimmer vereinen sich die Farben zur ukrainischen Staatsflagge.
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Marina spürt, dass es Widerstand gibt. Gerüchte werden gestreut, sie beeinflusse Klitschko, gefährde seine Karriere. In einer Zeitung steht, sie sei zu Hollerbach zurückgekehrt. Hollerbach dementiert. Aber Wladimir ist sauer. Demonstrativ taucht sie bei seinem nächsten Kampf auf. Noch hat sie keine Anstellung als Pilotin. Ein gefährlicher Gegner scheint gegen Marina zu arbeiten. Er ist unsichtbar, und sie weiß nicht, wer es ist. Ein anderer? Oder doch nur sie selbst?
Noch glaubt sie nicht daran, dass irgendjemand ihren Höhenflug stoppen kann. Sie ist noch immer schön und stark. Und sie ist von sich überzeugt. Unterdessen führt sie die Beziehung mit Klitschko nur noch heimlich. In der Öffentlichkeit wird sie nicht mehr mit ihm gesehen. Klitschko habe sie rausgeschmissen, heißt es in Hamburg. Marina sagt, sie sei mit der Prominenz an Wladimirs Seite nicht klargekommen. Es habe ihrer Karriere als Pilotin geschadet, als Freundin von Klitschko bekannt zu sein: "Ich hatte keinen Bock auf dieses Schoßhündchen-Dasein."
Sie jettet von einem Formel-1-Rennen zum anderen. Kanada, Monte Carlo, Ungarn. Neue Abenteuer, neue Freunde, neue Begegnungen. Ablenkung von der Tatsache, dass es nicht mehr so läuft wie bisher. Einmal kommt sie so geschwächt zurück, dass ein Bekannter sie mit dem Rollstuhl am Flughafen abholen muss. Im August 2000 liegt Marina Hernandez im Krankenhaus Eppendorf. Sie will nicht sagen, warum. In Hamburg gibt es verschiedene Spekulationen: eine Abtreibung, eine Fehlgeburt. Klitschko sei der Vater des Kindes. Alles nur Gerüchte, keine Beweise? In Wahrheit ist es eine Fruchtwasseruntersuchung. Marina Hernandez ist schwanger.
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Die Spaßgesellschaft hat Marina Hernandez ausgespuckt. Sie ist schwach, wie noch nie zuvor. Noch will sie es nicht glauben. Aber am 8. September 2000 kann sie es nicht mehr verdrängen. Da greift sie auf dem Dach vor ihrem Toilettenfenster nach der Lüftungshutze und merkt, dass sie sich nicht halten kann. Ihr gelingt es nicht, oben zu bleiben. Sie rutscht, sie fällt, sie schlägt am Boden auf. Ein Leben verliert sie, ihr eigenes will nicht sterben.
Siebenmal wird ihr Becken aufgesägt, weil es falsch zusammenwächst. Siebenmal Hoffnung. Siebenmal Schmerzen. Aber Marina Hernandez kämpft wieder. Sie trägt Highheels und Krücken, als sie später Michael Ammer im Gerichtssaal gegenübersteht und schließlich 20.000 Mark von ihm dafür kassiert, dass das Verfahren wegen schwerer Körperverletzung eingestellt wird. Das ist ein kleiner Erfolg. Sie wollte ihn haben. Aber unterdessen bedeutet er ihr nichts mehr. Was sind 20.000 Mark im Vergleich zu einem Leben, das fast schon verloren war? Marina Hernandez geht zurück in ihre Dachwohnung. Sie geht an Krücken, und jede Stufe ist ein Schmerz. Aber dann ist sie oben. So weit oben, wie vor ihrem Sturz. 14 Meter über dem Abgrund.
Aus den Online-Seiten der Illustrierten "Max".