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Claudia

Beinbruch, Transport ins Krankenhaus, Röntgen, Arztgespräch, Gipsraum - so weit in Kürze die Vorgeschichte.

Als der erste Gipsverband an meinem Unterschenkel dann fertig war, holte der Assistenzarzt für mich ein Paar Krücken. Ich musste aufstehen, damit er sie für meine Größe einstellen konnte. Nach einigen Anweisungen, wie ich zu laufen hatte, wünschte er mir alles Gute und vereinbarte noch einen Termin, an dem ich zur Kontrolle kommen musste (endgültiger Gipsverband und so). Meine Mutter stand schon auf dem Gang und ich ging mit ihr zum Auto.

Dass ich nun drei Wochen an diesen Krücken gehen musste, war für mich das Schrecklichste. Ich konnte diese zwei Dinger nicht leiden. Der Unterschenkelgips an sich, der die Folge eines Treppensturzes war, schien für mich das kleinere Problem zu sein. Aber erst nach drei Wochen sollte ich einen Gehgips bekommen. Irgendwie war ich sauer, aber ich konnte es nun mal nicht ändern.

Als wir zu Hause ankamen, war meine erste Tat, dass ich die Krücken neben der Eingangstür abstellte. Meiner Mutter war das irgendwie nicht so recht, ich entgegnete: "In der Wohnung kann ich doch auf einem Bein hüpfen." Denn mit meinem linken gebrochenen durfte ich ja nicht auftreten. Sie meinte darauf: "Aber das ist doch viel zu anstrengend." Das war das Stichwort, worauf ich beschloss, die Krücken so selten wie möglich zu benutzen. Ich wollte nicht nur meiner Mutter sondern auch mir selbst beweisen, dass es eben nicht zu anstrengend ist. Also hüpfte ich zu Hause nur auf einem Bein herum.

Am Anfang merkte ich schon, dass mein rechtes Bein nach einer Weile ein wenig schmerzte, aber ich ließ mich nicht unterkriegen. Jedoch zwei Tage später musste ich wieder zur Schule, leider mit Krücken. Denn erstens erlaubte es meine Mutter nicht, dass ich ohne Krücken ging, und zweitens stellte ich mir das doch ziemlich schwer vor.

Aber was sollte ich anziehen? Es war Ende Oktober und nicht mehr so warm. Meine weite schwarze Jeanshose kam mir zwar recht, aber die Krücken störten mich wieder, weil die Unterarmstützen beim Gehen immer so an meinen Pullis zerrten. Schließlich fand ich einen beigefarbenen Pulli, bei dem sich dieses Zerren in Grenzen hielt. Für draußen zog ich meine grüne Jacke darüber, nur über meinen Gips zog ich nichts. Wenn ich schon mit den Krücken laufen musste, wollte ich wenigstens den Grund dafür nicht hinter einer Socke verbergen.

In der Schule fragten mich natürlich meine Klassenkollegen, was denn genau passiert war. Ich erzählte es ihnen, vor allem wie sie mir im Krankenhaus den Gips angelegt hatten. Seltsam, dass alle so fasziniert zuhörten.

Mich störte es sehr, dass ich den ganzen Schultag hindurch mit den Krücken durch die Klassenzimmer humpeln musste. Beim Gehen und Stehen hat man nie die Hände frei, und wenn man sich setzt, kommen die Probleme mit dem Anlehnen, Aufstellen und Ablegen der Krücken. Außerdem musste mir jemand immer beim Tragen der Bücher und Hefte helfen. Ich fand das alles echt doof.

Zu Hause stellte ich die Krücken aber wieder in die Ecke und hüpfte auf einem Bein. Das ging irgendwie von Tag zu Tag besser. Mein rechtes Bein tat nicht mehr so schnell weh und ich hatte schon eine Technik raus, wie man am angenehmsten auf einem Bein vorwärts kommt. Nämlich die Ferse sollte nicht so sehr belastet werden, mehr der vordere Fuß. Und je weicher der Boden, umso angenehmer das Hüpfen.

An einem Nachmittag war meine Mutter gerade nicht zu Hause und ich musste mir noch ein Heft für eine Klassenarbeit besorgen. Da kam ich auf die Idee, dass ich es mal ausprobieren könnte ohne Krücken auf die Straße zu gehen. Der Laden, in den ich musste war nicht weit weg, es konnte eigentlich nichts passieren. Also fasste ich den Entschluss die Krücken zu Hause zu lassen und mir das Heft auf meinem rechten Bein hüpfend zu besorgen. Ich zog nur schnell meine Jacke über und einen bequemen Sportschuh an. Schon ging es los.

Es war ein irres Gefühl, so auf einem Bein auf der Straße zu laufen. Die Leute sahen auch her und wunderten sich. Sie dachten wahrscheinlich, ich hätte meine Krücken verloren oder vergessen oder so etwas Ähnliches. Im Laden selbst sagte niemand was. Ich kaufte das Heft und machte mich auf den Heimweg. Auf den letzten Metern merkte ich, dass ich vom Hüpfen müde wurde. Mein rechtes Bein schmerzte zwar nicht stark, aber ich spürte doch so etwas wie Erschöpfung. Trotzdem schaffte ich es und war irre stolz auf das, was ich gerade getan hatte.

Meiner Mutter hatte ich es später erzählt. Sie war zwar leicht wütend, aber sie konnte ja nichts mehr dagegen machen. Sie meinte nur: "Du strengst dein gesundes Bein viel zu sehr an. Das ist doch nicht nötig." Ich fand das nicht. Ich wiege ja keine zwei Zentner, so schwer ist das auch nicht.

Der Tag kam näher, an dem ich im Krankenhaus endlich meinen Gehgips bekommen sollte. Aber am Tag zuvor wollte ich es noch einmal wissen: Ich ging ohne Krücken zur Schule ! Auch meine Mutter konnte mich davon nicht abbringen.

Es war zwar schon Mitte November, etwas kühl, aber ich zog noch immer keine Socke über meine Zehen des Gipsbeins. Die etwas weiteren Hosen, die ich besitze, sind für den Gips total ideal geeignet. An diesem Tag kam die blaue Jeanshose dran und mein grüner Lieblingspulli, den ich sonst wegen der Krücken und dem Zerren nicht tragen konnte. Meine weiße Stoffjacke hatte ich auch von der Garderobe geholt. Ich nahm meine Büchertasche, zog meinen bequemsten Sportschuh an und hüpfte aus der Wohnung.

Es war ein tolles Gefühl, als ich in den Bus sprang. Die Fahrgäste sahen mich so an wie die Leute am Tag, als ich zum Bücherladen gehüpft bin. Nach einiger Zeit stieg eine Klassenkameradin zu. Sie fand es echt steil, dass ich endlich ohne Krücken in die Schule kam. Ich hatte ihr zuvor erzählt, wie sehr ich diese Krücken hasse.

Der Bus blieb wie immer vor dem Schulgebäude stehen und wir stiegen aus. Ich war überrascht, dass ich ihr Tempo auf einem Bein mithalten konnte. In der Schule selbst, auf den Gängen, schauten schon manche irgendwie irritiert. Einige Jungs schauten nicht bloß, sie starrten. Obwohl sie mich seit mehr als zwei Wochen mit Gips und Krücken gesehen hatten, musste das jetzt etwas ganz Besonderes gewesen sein. Ich nehme auch an, dass ich durch das Hüpfen noch mehr auffiel als mit den Krücken. Und so starrten vielleicht noch mehr auf meinen Gips und meine nackten Zehen.

Ich überstand den Tag echt gut, obwohl ich in der Schule doch recht viel auf einem Bein herumgestanden und herumgehüpft bin. Und auch am Nachmittag zu Hause war ich gar nicht so müde, wie ich geglaubt hatte. Ich dachte nur: Das hätte ich irgendwie schon früher machen können !