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Arabella Kiesbauer   Nobody is Perfect  

An meine Haut lasse ich nur Wasser und im äußersten aller äußersten Notfälle einen Arzt. Im Grunde bin ich das umgekehrte Beispiel von einem Hypochonder, ein so genanntes Ärztemonster. Vor allem in München haben die Götter in Weiß mit mir absolut schlechte Erfahrungen gemacht. Bevor ich eine Praxis betrete, lese ich erste Symptome im Medizinischen Fachwörterbuch nach, in der Ärztesprache als Pschyrembel bekannt. Die 69 Mark 80 war mir dieses Nachschlagewerk wert, schließlich gibt's für Hunderte von Symptomen auch Hunderte von Diagnosen. (...)

Einmal ging es leider nicht so glimpflich aus. Mit ein paar Freunden traf ich mich in einer Münchner Sporthalle, um Badminton im Doppel zu spielen. Weil wir mit den Sendungsaufzeichnungen nicht pünktlich fertig wurden, verspätete ich mich und verzichtete deshalb aufs Aufwärmen der steifen Glieder (...). Mit vollem Einsatz hechtete ich auf dem Court herum, bis ich merkte, etwas stimmt nicht mit meinem Bein. Es fühlte sich an, als ob es immer länger und länger werden würde. Ich hörte einen "Blob" und dann fiel ich um.

Alle stürmten sofort auf mich zu und fragten, was los wäre. Meine Blicke gingen Richtung Fuß, ich hatte das Gefühl, dass da keine Verbindung mehr war. Die Tränen kullerten wie automatisch über mein Gesicht. Kraft zum Aufstehen hatte ich nicht. Die anderen halfen mir auf die Beine, ich humpelte unter die Dusche und redete mir ein: "Ich habe mir saublöd den Haxen verknackst. Ein Arzt ist nicht nötig!" Auf diesen Schreck tankten wir alle erst einmal einen Fruchtsaft an der Hallen-Bar.

Kurz vor Mitternacht humpelte ich zu meinem Wagen, schnallte mich an und wollte losfahren. Doch das Kupplungspedal reagierte nicht, weil ich es mit meinem Fuß nicht durchdrücken konnte. Ich probierte es immer und immer wieder, nichts reagierte. Vor Wut stieg ich aus, nahm ein Taxi in der Hoffnung, morgen ist alles vorbei. Noch nachts las ich im Pschyrembel nach und war mir sicher, der Fuß ist verstaucht. Weiteres Symptom: Der Knöchel wurde richtig dick.

So humpelte ich drei Tage durch die Sendungen und freute mich aufs Wochenende, denn mein Freund Hans wollte nach München kommen. Er sah mein Bein und legte sofort los: "Damit musst du zum Arzt. Mit so etwas spaßt man nicht und überhaupt gehst du viel zu schlampig mit deiner Gesundheit um!" Ich konterte mit dem Pschyrembel, bei Verstauchungen muss man doch nicht zum Arzt. Hans war sich sicher, meine Aversion gegen Ärzte war eindeutig vererbt. Es stimmte, denn Omi wie Mutti suchten die Götter in weiß erst auf, wenn klar war, ein Bein könnte im nächsten Moment abfallen.

Hans hatte Recht. Also gab ich diesem Quälgeist nach und fuhr mitten in der Nacht mit ihm ins Schwabinger Krankenhaus. Der behandelnde Arzt schaute mich skeptisch an und ich sagte nur: "Für die Verstauchung brauche ich eine Salbe." Der Arzt runzelte die Stirn, ging in sein Ärzte-Beratungszimmer, um mir nach zehn Minuten folgendes zu offenbaren: "So Frau Kiesbauer. Sie haben eine Achilles-Sehnen-Fraktur. Die Sehne ist komplett abgetrennt und das Ganze befindet sich im fortgeschrittenen Stadium. Ich behalte Sie hier, mache in der Nacht alle notwendigen Untersuchungen und operiere Sie morgen um acht Uhr in der früh!" Mir verschlug es die Sprache. Ich schaute Hans fragend an und glaubte nicht, was der Mensch da vor mir erzählte. Der Arzt hörte mit seinem Vortrag nicht auf: "Sie bleiben vier Wochen im Krankenhaus, dann bekommen Sie einen Gips und in zwei Monaten können Sie, wenn alles glatt geht, wieder arbeiten." Wie ferngesteuert entgegnete ich: "Soll das ein Scherz sein?" Leicht angesäuert erklärte mir der Arzt, er würde in Gesundheitsdingen keine Scherze machen und schon gar nicht in so einem Fall. Ich flüsterte meinem Freund ins Ohr: "Der kann viel erzählen. Ich gehe noch zu einem anderen Arzt!" Hans schwieg und ich unterschrieb dem Doktor sein Formular, dass ich auf eigene Gefahr das Krankenhaus verlasse. Widerwillig ließ er mich gehen und schnurstracks gingen wir ins nächste Restaurant, denn ich hatte von dem Ärzte-Towubabo einen Bärenhunger.

Aus Liebe zu Hans, der auf dem Rückweg nach Wien war, besuchte ich am Wochenanfang noch zwei andere Gesundheitsspezialisten, schließlich war ich mir sicher, bei meinem Fuß konnte es nur um eine klassische Verstauchung gehen. Die erzählten jedoch das Gleiche wie der Klinikarzt und hätten mich am liebsten notoperiert. Ich traute ihnen nicht und fuhr deswegen in meine Redaktion. Aber auch die Redakteure schlugen die Hände über den Kopf, schließlich wollten sie keine humpelnde Moderatorin. Rotzfrech kontaktierten sie hinter meinem Rücken einen Sportarztguru, den ich weitläufig kannte, weil seine Frau als Modedesignerin und seine Tochter mal als Model bei mir in der Talkshow waren.

So verfrachtete man mich in Nullkommanichts in ein Taxi und ehe ich mich versah, saß ich in der Praxis vom Prominentenarzt Dr. med. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt. Geduldig setzte ich mich ins Wartezimmer und hoffte, einen richtigen Prominenten wie zum Beispiel Boris Becker oder Mehmet Scholl zu sehen. Eine Schwester rief mich auf und brachte mich ins Doktorzimmer. Der Prominentenarzt schaute meinen linken Fuß kurz an und sprach folgendes Machtwort: "Jetzt reißen Sie sich zusammen, wenn Sie zeitlebens ein Krüppel sein wollen, dann verlassen Sie auf der Stelle meine Praxis! Wenn nicht, überweise ich Sie sofort in eine Klinik, denn Sie müssen operiert werden. Da führt kein Weg vorbei." Anscheinend hatte er durch die Redaktion beim Sender etwas über meine verschiedenen Arztkonsultationen erfahren und wusch mir hiermit den Kopf.

Um nicht ganz so dumm dazustehen, versuchte ich mich mit meinem Horror vor Gips raus zu reden. Als siebenjähriges Kind lief ich nämlich mal ohne nach rechts oder links zu gucken auf die Straße. Ein Auto erfasste mich, ich wurde über die Motorhaube geschleudert und so hatte ich die rechte Hand in Gips. Viel schlimmer erwischte es mich drei Jahre später. Ich hatte mich mit den Jungs auf der Schule schon immer für mein Leben gern geprügelt. Es kam immer sehr schnell zu Rempeleien, weil sie die Mädchen nötigten, ihnen Küsse zu geben. Auch mich hatten sie ständig in den Fängen. Ich wehrte mich heftig, fiel blöd und brach mir dummerweise beide Arme. Von den Schultern bis zu den Fingern alles in Gips. Zwei Monate lang. Ich konnte nicht alleine essen, mich nicht alleine anziehen und obendrein musste mir meine Omi noch den Popo abputzen.

Während ich mein Leid schilderte telefonierte der Doktor schon mit einem Arzt vom Bogenhausener Klinikum. Kurz danach landete ich in einem Krankenbett mit drei Schwestern, welche mich für die Operation vorbereiteten. Mittendrin rief ich die wichtigsten Leute an: meine Omi, meine Mutter, meinen Manager und meinen Chefredakteur. Meine Omi meinte, was sein muss, muss sein! So leicht ließ sie sich nicht schocken, schließlich hatte sie in ihrem Leben viel mitgemacht. Sie informierte meinen Freund Hans, der sich anscheinend über meine Einsicht freute und mir gleich per Fleurop einen Strauß weißer Lilien schickte. Meine Mutter heulte sofort drauf los. Sie war ängstlicher als ich, somit musste ich sie während unseres Telefonates ständig beruhigen. Mein Chefredakteur war überhaupt nicht begeistert. Er überlegte sofort, was er in diesen zwei Monaten anstelle neuer Arabella-Sendungen ausstrahlen kann. Seine Zauberworte: "Wiederholungen" und "neuer Sendeplan" - wohl das Wichtigste, wenn ein Moderator kampfunfähig ist. Das erste Mal, wo ich Angst um die Quote hatte, denn meine Sendung war noch ein Frischling (würde man in der Förstersprache sagen) unter den Talkshows und wenn ein Frischling auf einmal von der Bildfläche verschwindet, treiben andere ihr Unwesen in der Schonung. Doch gegen alle Befürchtungen quoteten die Wiederholungen sehr gut und als ich nach einer Woche mit Liegegips die Klinik verließ, freute ich mich über jedes Interview. Die Sendung lief gut, also was konnte mir passieren?

Meine Mutter pflegte mich in ihrem Haus am Schliersee und die Presse feierte mich: "Schönstes Gipsbein im Deutschen TV". Nach drei Wochen wurde aus dem Liegegips ein Gehgips und endlich konnte ich wieder vor der Kamera stehen. Doch ich freute mich zu früh, denn der Stress wurde schlimmer als jemals zuvor. Zum einen wurde das Produktionspensum erhöht, schließlich musste man nachholen, was in den vier Wochen flöten ging. Und zum anderen strengte mich die Fortbewegung mit den Krücken ziemlich an. Von ProSieben bekam ich ein Auto mit Automaticgetriebe, so war ich motorisiert, selbständig und eine Physiotherapeutin nahm sich meiner sechs Wochen lang an. So lernt man neu laufen. Und ich ärgerte mich über mich. Denn meine Unachtsamkeit und mein Misstrauen gegenüber Ärzten musste ich teuer bezahlen: Mein linkes Bein wurde nie wieder so muskulös und stark wie vor der Operation. Und hohe Schuhe kann ich mir auch nicht mehr leisten. Durch eine Achillessehnen-Verkürzung läuft man wie ein Storch im Salat. Dafür gab's einen Monat (Mitte November bis Mitte Dezember 1994) Sendungen mit Arabella in Gips. Aber hinterher ist man bekanntlich immer schlauer.

Auszug aus der Autobiographie "Nobody is Perfect" von Talkshow-Moderatorin Arabella Kiesbauer

Buch: Lübbe Verlag, 2001, 157 Seiten, ISBN 3-404-14246-2
pdf:    www.scribd.com oder www.sapientia.ch