 |
Ein weißer Sandstrand in Sierra Leone, Westafrika.
"Komm, wir machen ein Rennen." Es regnete und wir liefen zurück - am Strand entlang. Ich lief auf dem nassen Sand, spürte den Wind, den Regen, die kühle Temperatur. Plötzlich, ohne Warnung, fiel ich zu Boden. Ich hatte noch nicht einmal Zeit den Fall abzufangen. Ich dachte, ich sei gestolpert, aber hinter mir lag nichts außer einer weiten Sandfläche. Mein rechter Fuß fühlte sich schwach an. Ich versuchte aufzustehen und kippte wieder um. Es kam mir eine Freundin ins Gedächtnis, die sich beim Tennis spielen verletzt hatte. Sie beschrieb dies genau so.
Ich griff mit der Hand an die Rückseite meines Fußes,
direkt über die Ferse. "Ich glaube, ich habe meine
Achillessehne gerissen," sagte ich. Wo zuvor noch eine
straffe Sehne den Wadenmuskel mit dem
Fersenknochen verband, war jetzt dort nichts mehr als eine
lose Hautfalte. Mein Begleiter half mir, aufrecht zu sitzen. Ich
fühlte mich schrecklich unwohl. Ich steckte meinen Kopf
zwischen meine Knie. Dann schaute ich ihn kurz an: " Ich
glaube, ich muss ...," sagte ich und wurde ohnmächtig.
Es war die erste Juli-Woche. Ich war am Strand von Tokeh, ein wunderbarer weißer Sandstrand in Sierra Leone, Westafrika. Wir waren über eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt. Dreihundert Meter Strand, ein Gezeiten-abhängiges Flussbett, Wattflächen und Felsen trennten uns von unserem Auto. Irgendwann erreichten wir Freetown. Das Gesundheitssystem war hier, in einem der ärmsten Länder in der Welt, überaus dürftig.
An diesem Tag hatte ich zweimal Glück. Zum einen war
jemand bei mir, der meinen wahnsinnigen Vorschlag auf allen
Vieren zu kriechen beiseite wischte, mich hoch nahm und
praktisch den gesamten Weg trug. Zum anderen war die
nächste medizinische Einrichtung das Kriegopfer- und
Amputiertenkrankenhaus mit italienischen Ärzten und
orthopädischen Fachleuten. Dort bestätigten sie meinen
Verdacht: Die Achillessehne war gerissen. Sie ist die größte
und leistungsfähigste Sehne im Körper. Sie vermittelt die
Zugkraft um den Fuß vom Boden zu drücken. Damit sind
Basketballspieler in der Lage aus dem Stand anderthalb Meter hoch zu
springen, Tänzer zu fliegen, Leichtathleten sich aus den
Startblöcken zu katapultieren.
Namensgeber ist Achilleus, der Sohn eines Königs und eine See-Nymphe. Er war der bedeutendste Krieger in der Armee des Agamemnon im
Trojanischen Krieg. Als Kind tauchte ihn seine Mutter in das
Wasser des Flusses Styx, was ihn unverwundbar machte -
jedoch mit Ausnahme der Ferse, an der sie ihn hielt. Achilleus wurde schließlich in der Schlacht um Troja durch einen Pfeil getötet, der die Rückseite der Ferse durchdrang. Es ist wahrscheinlich das am passendsten benannte Körperteil des Menschen.
Obwohl die Achillessehne stark genug ist, um einen LKW zu
ziehen, ist sie merkwürdigerweise auch zerbrechlich. Sie neigt bei plötzlicher oder unerwarteter Belastung zum Zerreißen, und das mit einem Knall wie ein Pistolenschuss. Es geschieht so schnell, dass man meint, man sei gestolpert oder von irgendetwas getroffen worden. Danach kann man, bis es behandelt ist, weder laufen noch springen. Ja, man kann kaum gehen.
Vittorio, der leitende Arzt, erklärte mir, meine Verletzung sollte am besten innerhalb von 48 Stunden behandelt werden.
Danach beginnt die Sehne sich langsam zum Wadenmuskel
zurückzuziehen. Ich würde gewiss eine Operation benötigen.
Sie boten an mich zu operieren, aber wir kamen überein, dass
es besser wäre, wenn ich mich zu Hause erhole. Sie legten
mir eine Gipsschiene an, um meinen Fuß zu stützen, und
gaben mir ein Paar Krücken, die ich versprach, sobald wie
möglich zurückzubringen.
Es vergingen noch fünf Tage bevor ich nach Hause geflogen
werden konnte. Überraschenderweise hatte ich kaum
Schmerzen. Ich verbrachte die Zeit, mich an meine Krücken zu gewöhnen und an die Hilfsbereitschaft von Fremden. In einem
Land mit Kriegsamputierten war es bemerkenswert, wie viel
Mitgefühl doch eine Frau erfahren kann, die sich selbst beim
Laufen über den Strand im Bikini verletzte.
Direkt vom Flugzeug ging es mit einem Krankenwagen, der von
meiner Reiseversicherung organisiert worden war, in die
A&E-Abteilung des King's College Hospitals. "Typisches Alter. Typische Verletzung", sagte der Facharzt für Orthopädie. "Normalerweise ist es ein 40-jähriger Mann, der Squash gespielt hat. Aber ich sehe immer mehr
Frauen in diesen Tagen." Das Laufen auf nassem Sand ist
anscheinend eine häufige Ursache einer
Achillessehnenverletzung. Der Sand gibt unter der Ferse nach, die Sehne wird überdehnt und reißt.
Er bat mich, auf Bauch zu liegen und drückte meine Wade:
der Thompson-Test. Wenn der Muskel zusammengedrückt
wird, sollte der Fuß sich bewegen. Tut er es nicht, ist es ein
Hinweis, dass die Sehne wahrscheinlich gerissen ist. Ich wurde aufgenommen und auf die Station gefahren, meine Operation wurde für den nächsten Tag angesetzt. Tatsächlich wurde sie mehrmals verschoben. Am dritten Tag wurde ich schließlich in den OP-Saal geschoben.
Beim Standardverfahren wird die Rückseite des Beines
geöffnet und die zwei Enden der Sehne
werden zusammen genäht. Aber in einer neueren Version, die
an mir durchgeführt wurde, macht man mehrere kleine
Schnitte, so dass weniger Narben entstehen.
Als ich aufwachte, waren mein Bein und mein Fuß in einer
Ballett-artigen Position in einem schweren Gips ruhig gestellt.
Der Gips wird nach zwei Wochen durch einen leichteren
ersetzt, dann erneut alle vierzehn Tage, wobei mein Fuß
stufenweise zurück in einen 90-Grad-Winkel gebracht wird. So
wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen.
Zu Hause suchte ich im Internet nach Informationen. Ich fand
ein Video mit der OP-Prozedur, der ich gerade unterzogen
worden bin. Ich bestellte Kalzium und Magnesium,
Glukosaminsulfat, das gut für die Gelenke sein soll, L-Arginin
und L-Ornithin, die das Muskelwachstum und die Reparatur
anregen sollen. Dann ließ ich mich vor dem Fernsehapparat und dem nagelneuen DVD-Spieler nieder. Wenn der Gips ab sein wird, werde ich zwei bis drei Monate Physiotherapie brauchen. Eine komplette Genesung dauert sechs bis neun Monate.
|